Wann ist die Maus eine Ratte?

Die Familie der Langschwanzmäuse (Muridae) umfasst eine Vielzahl verschiedener Arten, die im Deutschen entweder als "Mäuse" oder als "Ratten" bezeichnet werden. Bekannte Beispiele sind die Wanderratte (Rattus norvegicus) und die Hausmaus (Mus musculus), jedoch gehören auch viele weitere Arten, wie etwa die Eurasische Zwergmaus (Micromys minutus), die Tüpfelgrasmaus (Lemiscomys striatus), die Akazienratte (Thallomys) oder Neumanns Grasratte (Arvicanthis neumanni) zur Familie der Langschwanzmäuse.

 

Die Grenze zwischen "Maus" und "Ratte" ist keine taxonomische, sondern hat ihren Ursprung in der Alltagskultur bzw. dem allgemeinen Sprachgebrauch, der kleinere mausähnliche Tiere als "Mäuse" bezeichnet, während größere Vertreter eher "Ratten" genannt werden.

Dies gilt nicht nur für Langschwanzmäuse, sondern für eine ganze Reihe weiterer Nagetiergruppen, wie etwa Vertreter der Wühler (z. B. Steppenwühlmäuse), Neuweltmäuse (z.B. Hirschmäuse), Meerschweinchenverwandten (z. B. Strauchratten), Schläfer (z.B. Haselmaus), aber auch Angehörige anderer taxonomischer Ordnungen, wie etwa Beuteltiere (z.B. Haus-Spitzmausbeutelratte), Insektenfresser (Spitzmäuse) und Fledertiere (Fledermäuse).

 

Nach Dieterlen (2005) liegt die Grenze zwischen "Maus" und "Ratte" bei einer Kopf-Rumpf-Länge von 130140 mm. Mäuseartige über dieser Grenze gelten als "Ratte" und solche mit einer geringeren Körperlänge gelten als "Maus".

 

Somit ist es nicht verwunderlich, dass Arten im Grenzbereich sowohl als "Maus" als auch als "Ratte" bezeichnet werden. Die Mongolische Rennratte (Meriones unguiculatus) mit einer Kopf-Rumpf-Länge von 96135 mm (Schulze-Sievert 2002) ist allgemein als Mongolische Rennmaus bekannt und die 60170 mm großen (vgl. Scholz & Wilson 2016) Vertreter der Gattung Mastomys wurden eine Zeit lang Vielzitzenratten genannt, bevor sich im Deutschen der Name Vielzitzenmäuse einbürgerte.

 

Im Englischen werden bis heute die Begriffe Multimammate mouse und African soft-furred rat synonym verwendet, um die Südliche Vielzitzenmaus (Mastomys coucha) zu beschreiben. Interessanterweise liegt im Englischen die Trennlinie zwischen "Maus" und "Ratte" etwa bei 120 mm (vgl. Musser o.J.). Somit sind manche Arten im kritischen Grenzbereich auf Deutsch noch "Mäuse" und auf Englisch bereits "Ratten". Beispielsweise heißen die bis zu 140 mm großen Grammomys-Arten im Deutschen Akazienmäuse und im Englischen Thicket rats.

 

Ausnahmen gibt es immer und überall insbesondere wenn keine festgeschriebene Regel existiert. Für die Persische Rennmaus (Meriones persicus) mit einer Kopf-Rumpf-Länge von 149164 mm (vgl. Grimmberger & Rudloff 2009) wäre der Name Persische Rennratte treffender und die als Zwergreisratten (englisch: Pygmy rice rats) bezeichneten Arten der Gattung Oligoryzomys fallen mit einer Kopf-Rumpf-Länge von bis zu 100 mm ebenfalls aus der Reihe.


Zitationsvorschlag für diesen Artikel:
Kräh, S. (2021): Wann ist die Maus eine Ratte?. https://ratfrett.jimdofree.com/2021/01/12/ab-wann-ist-die-maus-eine-ratte/


MEHR

Dieterlen, F. (2005): Ordnung Nagetiere (Rodentia). In: Braun, M. & Dieterlen, F. (Hg.): Die Säugetiere Baden-Württembergs. Band 2. Ulmer: S. 143–355.

 

Grimmberger, E. & K. Rudloff (2009): Atlas der Säugetiere Europas, Nordafrikas und Vorderasiens. Natur und Tier-Verlag.

 

Musser, G. (o.J.): Mouse. Encyclopædia Britannica. https://www.britannica.com/animal/mouse-rodent

Scholz, J. & Wilson, S. (2016): Care of Mastomys in the laboratory. Laboratory Animal 45 (6): S. 219–224. https://www.nature.com/articles/laban.1018?proof=t

Schulze-Sievert, U. E. (2002): Ein Beitrag zur tiergerechten Haltung der Mongolischen Wüstenrennmaus  anhand der Literatur. http://elib.tiho-hannover.de/dissertations/schulze-sievertu_2002.pdf