Sinai-Stachelmäuse

Wer Stachelmäuse (Acomys) halten will, landet wahrscheinlich zuallererst bei der Sinai-Stachelmaus (Acomys dimidiatus). Diese relativ große Stachelmaus ist in der Heimtierhaltung seit Jahrzehnten weit verbreitet, leicht zu halten und problemlos nachzuzüchten. Zudem ist die Art häufig auch am Tag aktiv und sehr zutraulich.

Obwohl die Sinai-Stachelmaus so bekannt ist, ist stellt sich bei der Recherche schnell heraus, dass Acomys dimidiatus von der Wissenschaft nicht einhellig als eigenständige Art anerkannt, sondern stattdessen oftmals als Unterart der Kairo-Stachelmaus (Acomys cahirinus) betrachtet wird. Auch wenn Gensequenzierungen die Unterschiede der beiden Arten deutlich machen, ist die Unterscheidung von Sinai-Stachelmaus und Kairo-Stachelmaus allein aufgrund äußerlicher Merkmale kaum möglich. (vgl. Kräh 2017a)

 

Darüber hinaus werden verschiedene Unterarten von Acomys dimidiatus unterschieden, von denen einige auch in Europa gehalten werden oder wurden. Ehrlich (2006) nennt die Suez-Stachelmaus (A. dimidiatus megalodus), die Palästina-Stachelmaus (A. dimidiatus dimidiatus) und die Helle Sinai-Stachelmaus (A. dimidiatus ssp.). Bei letzterer wird vermutet, dass es sich nicht um eine Unterart, sondern um eine in der Laborzucht entstandene helle Farbvariante handeln könnte (vgl. Honigs 2008; Rudloff & Jordan 1997). A. d. megalodus ist wahrscheinlich sowohl aus privater Haltung als auch aus zoologischen Einrichtungen verschwunden. Im Jahr 2019 gab es noch Hinweise auf A. d. dimidiatus in privater Haltung sowie im Tiergarten Schönebeck. Es scheint sich jedoch um wenige Tiere zu handeln, von denen keine Nachzucht mehr zu erwarten ist.

Biologie

Acomys dimidiatus ist eine relativ große Stachelmausart. Rudloff & Jordan (1997) nennen die folgenden Abmessungen: Körperlänge 85 - 125 mm, Schwanzlänge 75 - 127 mm, Hinterfußlänge 18 - 23 mm und Ohrlänge 18 - 28 mm. Ähnliche Angaben finden sich auch bei Grimmberger & Rudloff (2009). Zum Gewicht existieren unterschiedliche, sich teils widersprechende Zahlen. So nennt Honigs 2008 ein Gewicht von „bis zu 34 g“ (siehe auch Ehrlich 2006). Nach Grimmberger & Rudloff (2009) werden Weibchen mit bis zu 85 g schwerer als Männchen, die ein Gewicht von bis zu 77 g erreichen. Die Wägung von vier adulten Tieren in meinem Bestand ergab ein Durchschnittsgewicht von 70,3 g {66g; 70g; 70g; 75g}, wobei das Männchen am schwersten war.

Das Fell ist oberseits sandfarben und variiert je nach regionaler Herkunft oder Zuchtstamm von gräulich bis rötlich. Die Körperunterseite, die Füße sowie jeweils ein Fleck unter dem Auge sind weiß. Charakteristisch sind die stachelartigen Borsten, die die hinteren zwei Drittel des Rückens bedecken.

 

Sinai-Stachelmäuse leben sozial in Gruppen und gehen aggressiv gegen fremde Artgenossen vor (vgl. Honigs 2008). Während sie in menschlicher Obhut vergleichsweise häufig am Tag aktiv sind, charakterisieren Grimmberger & Rudloff (2009) wildlebende Tiere als nachtaktiv. Die Nahrung besteht aus Samen und grünen Pflanzenteilen von Kräutern und Gräsern. In geringeren Mengen nehmen sie auch Insekten, Hundertfüßer, Landschnecken und andere Wirbellose auf. (vgl. ebd.)

 

Alle Stachelmäuse kommen sehr weit entwickelt auf die Welt und werden schnell selbstständig. Bereits nach wenigen Tagen nehmen junge Sinai-Stachelmäuse feste Nahrung auf. Die Lebenserwartung beträgt in Gefangenschaft etwa 2 bis 5 Jahre. Das älteste dokumentierte Exemplar wurde 5 Jahre und 11 Monate alt. (vgl. ebd.)

Verbreitung und Lebensraum

Die Sinai-Stachelmaus ist nach der ägyptischen Sinai-Halbinsel benannt und auch dort zu finden. Cassola (2016) benennt außerdem Israel, Libanon, Oman, Jemen, weite Teile Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate, die Küstenregionen Irans sowie Vorkommen in manchen Regionen Iraks, Jordaniens und Pakistans.

Die Art bewohnt nach Grimmberger & Rudloff (2009) trockene und steinige Berghänge und felsige Bereiche von Wüsten. Cassola (2016) nennt auch mediterrane Wälder, landwirtschaftlich genutzte Flächen sowie in Ägypten Häuser und Ställe.

Haltung

In der Heimtierliteratur der letzten Jahre werden Abmessungen von 50 x 50 cm (Honigs 2008) bzw. 80 x 40 cm (Ehrlich 2003) für ein Paar empfohlen. Das Gutachten über die Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren fordert für zwei Individuen der Gattung Acomys eine Grundfläche von mindestens 0,5 m². Für jedes weitere Tier sollen 20% mehr Fläche hinzukommen (vgl. BMEL 2014).

Wie die meisten anderen Stachelmausarten ist Acomys dimidiatus eher ein Bodenbewohner, ist jedoch auch in der Lage zu klettern. Ein Terrarium oder Käfig mit einer Höhe von 40 bis 80 cm wird entsprechend genutzt.

Der Bodengrund kann aus handelsüblicher Kleintierstreu (Hanf, Holzspäne, Maisspindelgranulat) oder auch einem Sand-Erde-Gemisch bestehen. Da Stachelmäuse nicht graben, ist eine Substrathöhe von etwa 5 cm ausreichend. Als Unterschlupf werden im natürlichen Habitat Felsspalten, Zwischenräume von Steinhaufen oder Mauernischen genutzt. Im Terrarium werden handelsübliche Häuser für Kleinnager oder Wellensittichnistkästen ebenso angenommen, wie Tontöpfe, Korkröhren und stabile Steinaufbauten. Große Steine, Wurzeln oder Weinreben als erhöhte Aussichtspunkte werden sehr gerne genutzt. Einrichtung aus Pappe, Plastik oder Holz wird von den Stachelmäusen zernagt und muss regelmäßig erneuert werden. Bei einem ausreichenden Angebot von Papprollen, Zweigen (Birke, Hasel, Obstbaumsorten, Hasel etc.) oder auch Eierkartons bleibt der Rest der Einrichtung länger verschont. Wie viele andere Tiere auch nutzen Sinai-Stachelmäuse sehr gerne Laufräder oder Laufteller (siehe auch Kräh 2017b).

Ernährung

Allgemein sind Stachelmäuse relativ einfach mit Samen, Frischfutter und Insekten zu ernähren. Von einigen Arten ist bekannt, dass sie sich im Freiland zu großen Teilen von Wirbellosen ernähren (Acomys cahirinus), während andere fast ausschließlich Saaten aufnehmen (Acomys subspinosus). Leider gibt es zu Acomys dimidiatus kaum direkte Hinweise zur Ernährung im Freiland.


Sarli et al (2015) charakterisieren die Art als ominvor. Grimmberger & Rudloff (2009) benennen die Hauptnahrung mit Samen, Gräsern und Kräutern. Dobly et al (2001) erklären, dass sich die Sinai-Stachelmaus und die Goldstachelmaus (Acomys russatus) in der Ernährung gleichen. Von A. russatus ist bekannt, dass sie Insekten bevorzugt (40 - 65 %), gefolgt von Samen und grünen Pflanzenteilen. (vgl. Honigs 2008, siehe auch Kräh 2018).

 

Es empfiehlt sich die tägliche Fütterung einer Trockenfuttermischung. Das Futterkonzept von Sistermann (2007) sieht für Stachelmäuse allgemein eine Mischung aus Wellensittichfutter, Kanarienfutter und Grassamen (5:3:2) vor. Noack (2018) nennt Exotenfutter, Wellensittichfutter, Wildsaaten, Unkrautsamen und Grassamen als Bestandteile einer Futtermischung für Stachelmäuse. Tierisches Protein kann in Form von getrockeneten Insekten, Hunde- oder Katzentrockenfutter oder Eifutter für Vögel direkt der Samenmischung hinzugefügt werden. Ebenso eignen sich sämtliche im Handel als Futtertiere angebotenen Insekten auch als Lebendfutter.

Honigs (2008) liefert eine Liste von Obst, Gemüse, Salat und Kräutern, die Stachelmäusen als Frischfutter angeboten werden können, Sistermann (2007) empfiehlt frisches Gemüse und Kräuter. Da im Freiland eher grüne Pflanzenteile aufgenommen werden, empfiehlt sich die tägliche Fütterung mit Kräutern, Blättern und Salat. Gut angenommen werden Luzerne, Spitzwegerich, Löwenzahn, Eisbergsalat, Kallisie und andere Sorten (siehe auch Kräh 2011). Wasser sollte den Tieren stets in einer Trinkflasche zur Verfügung stehen.

Zucht

Stachelmäuse bringen nach einer vergleichsweise langen Tragzeit sehr weit entwickelte Jungtiere zur Welt.
Nach Dieterlen (1962) dauert die Tragzeit durchschnittlich 38 Tage. Die meist zwei bis drei Welpen haben bereits Fell und leicht geöffnete Augen, die Ohren sind bei den meisten noch verschlossen. Bereits am Tag der Geburt sind die 4 - 8 g schweren Jungtiere in der Lage, kurze Strecken zu laufen. In den folgenden Tagen wachsen Fell und Stacheln, die Augen öffnen sich vollständig und das Hörvermögen entwickelt sich. Ebenso brechen die Zähne durch. Nach einer Woche können die Tiere sicher laufen und klettern. Beim Erkunden der Umgebung des Nestes, nehmen sie erstmals selbstständig Nahrung auf. Mit 3 - 4 Wochen sind die Jungtiere entwöhnt und können ab diesem Zeitpunkt von den Eltern getrennt werden. (vgl. Tučková et al. 2016)

Die Geschlechtsreife tritt mit 3,9 Monaten (vgl. Dieterlen 1962) bzw. etwa 2 - 3 Monaten (vgl. Dieterlen 2013) ein.

Bemerkenswert ist, dass sich das Vatertier bei der Aufzucht des gemeinsamen Wurfes beteiligt (vgl. Dieterlen 1962). Ebenso wurde die gemeinschaftliche Aufzucht mehrerer Würfe in einem gemeinsamen dokumentiert. Insbesondere jüngere und weniger erfahrene Muttertiere nehmen fremde Jungtiere an und säugen sie. (vgl. Tučková et al. 2016)

 

Nach Grimmberger & Rudloff (2009) ist eine pausenlose Wurffolge möglich, da Weibchen bereits 8 - 15 Stunden nach der Geburt wieder aufnahmefähig sind (Oestrus post-partum). Es wurden bis zu 10 Würfe in einem Jahr gezählt. (vgl. Dieterlen 1962)
Die Zahl der Jungtiere pro Wurf liegt bei durchschnittlich 2,4 und wächst mit zunehmendem Alter des Weibchens, sodass in Ausnahmefällen bis zu fünf Jungtiere auf einmal geboren werden können. (vgl. Dieterlen 2013)

Artgesellschaft

Acomys hybrid
Acomys hybrid

Mehrere Publikationen der letzten Jahre weisen die Sinai-Stachelmaus als sehr gut verträglich mit anderen Mäusearten aus. Insbesondere mit Farbmäusen und/oder Vielzitzenmäusen lässt sich ein friedliches Zusammenleben beobachten, jedoch wird auch auf die unterschiedlichen Bedürfnisse bei der Fütterung hingewiesen. (vgl. Argentum 2011; Die Schlaumäuse 2014; Noack , C. E. 2019; Nößler 2014)

Die Gemeinschaftshaltung mit anderen Stachelmausarten verläuft oftmals auch friedlich, jedoch ist bei der Haltung verschiedener Geschlechter eine Hybridisierung möglich. Da einige Acomys-Arten und -Unterarten in den vergangenen Jahren aus den europäischen Beständen verschwunden ist, sollten eine Vermischung vermieden und die ohnehin kleinen Populationen möglichst rein erhalten werden. (Siehe auch Kräh 2017a)

mehr

Argentum , A. (2011): Stachelmäuse in der Artengesellschaft mit Farbmäusen. RODENTIA 3, Sep/Okt. S. 55

 

BMEL. Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2014): Gutachten über die Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren.

 

Cassola , F. (2016): Acomys dimidiatus. The IUCN Red List of Threatened Species 2016: e.T136471A115208221. http://dx.doi.org/10.2305 (Letzter Download: 07.10.2019)

 

Die Schlaumäuse (2014): Arteesellschaften bei Mäusen - meine Erfahrungen. https://schlaumaeuse.jimdo.com/2014/03/12/artgesellschaften-bei-m%C3%A4usen-meine-erfahrungen/

 

Dieterlen, F. (1962 ): Vergleichende Untersuchungen zur Ontogenese von Stachelmaus (Acomys) und Wanderratte (Rattus norvegicus). Beiträge zum Nesthocker-Nestflüchter-Problem bei Nagetieren. Zeitschrift für Säugetierkunde. https://www.zobodat.at/pdf/Zeitschrift-Saeugetierkunde_28_0193-0227.pdf

 

Dieterlen, F. (2013): Cairo Spiny Mouse (Northeast African Spiny Mouse). In: Kingdon, J., D. Happold, T. Butynski, M. Hoffmann, M. Happold, J. Kalina: Mammals of Africa. Bloomsbury, London

 

Dobly, A., Rozenfeld, F. M. & Haim, A. (2001): Effect of Congeneric Chemical Signals of Different Ages on Foraging Response and Food Choice in the Field by Golden Spiny Mice (Acomys russatus). Journal of Chemical Ecology Vol. 27 (10). S. 1953-1961.

 

Ehrlich, C. (2003): Kleinsäuger im Terrarium. Natur und Tier-Verlag, Münster

 

Ehrlich, C. (2006): Kleinsäuger im Terrarium. Natur und Tier-Verlag, Münster.

 

Grimmberger, E. & K. Rudloff (2009): Atlas der Säugetiere Europas, Nordafrikas und Vorderasiens. Natur und Tier-Verlag, Münster.

 

Honigs, S. (2008): Stachelmäuse. Natur und Tier-Verlag, Münster

 

Kräh , S. (2011): Gräser und Kräuter sammeln. https://ratfrett.jimdo.com/2011/05/05/gr%C3%A4ser-und-kr%C3%A4uter-sammeln/

 

Kräh , S. (2017a): Stachelmäuse - Vielfalt und Wandel. https://ratfrett.jimdo.com/2017/08/17/stachelm%C3%A4use-vielfalt-und-wandel/

 

Kräh , S. (2017b): Laufrad. Machen oder lassen? https://ratfrett.jimdo.com/2017/02/22/laufrad-machen-oder-lassen/

 

Kräh, S. (2018): Goldstachelmäuse. https://ratfrett.jimdo.com/tiere/goldstachelm%C3%A4use/

 

Noack , C. E. (2018):  Basisfuttermischungen – Futter mischen für Mäuse und Nagerexoten. http://dev.das-maeuseasyl.de/ernahrung/basisfuttermischungen-fur-mause-und-nagerexoten/

 

Noack , C. E. (2019): Stachelmäuse in Artengesellschaften. https://das-maeuseasyl.de/arten/sinai-stachelmaus/


Nößler, C. (2014): Hallo, Herr Nachbar! Artengesellschaft von Stachelmäusen und Vielzitzenmäusen. RODENTIA 80, Jul/Aug.

 

Rudloff, K. & Jordan, M. (1997): Vorläufige Bestimmungshilfe für Stachelmäuse. BAG Mitteilungen 3/1997. http://www.schulzoo.de/homepage/2/bag/hefte/h_3_1997_04.htm

 

Sarli, J. & Lutermann, H., Alagaili, A., & Mohammed, O. & Bennett, N. (2015). Seasonal reproduction in the Arabian spiny mouse, Acomys dimidiatus (Rodentia: Muridae) from Saudi Arabia: The role of rainfall and temperature. Journal of Arid Environments. 124. 352. 10.1016/j.jaridenv.2015.09.008.

 

Sistermann, R. (2007): Futterkonzept. http://www.rodent-info.net/futterkonzept.htm

 

Tučková, V.; Šumbera, R. & Čížková, B. (2016): Alloparental behaviour in Sinai spiny mice Acomys dimidiatus: a case of misdirected parental care?. Behavioral Ecology and Sociobiology. März 2016, Vol. 70 (3), S. 437–447. https://link.springer.com/article/10.1007/s00265-016-2065-7

 

Wilson, D.E. & D. M. Reeder (Hrsg.) (2005): Acomys. Mammal Species of the World. A Taxonomic and Geographic Reference. https://www.departments.bucknell.edu/biology/resources/msw3/browse.asp?id=13000997