Ernährung von Farbratten

Die Wanderratte (Rattus norvegicus) ist seit Jahrhunderten ein Begleiter des Menschen. Es gibt kaum einen Ort, an dem Menschen siedeln, der nicht auch von Ratten bewohnt wird. Egal ob Scheune eines Aussiedlerhofes oder die großstädtische Kanalisation: Die anpassungsfähigen und opportunistischen Nagetiere kommen mit den in verschiedensten Umgebungen und Nahrungsangeboten zurecht. Auch die Geschichte der domestizierten Farbratte (Rattus norvegicus f. dom.) ist vergleichsweise lang. Als Kult- und Opfertier, Heimtier oder in den vergangenen 100 Jahren vor allem als Versuchsmodell bevölkert die Zuchtform der als Vorratsschädling und Krankheitsüberträger bekannten Wanderratte weltweit Tempel, Wohnzimmer und Labore.

 

Ratten sind für ihre genugsame Ernährung bekannt und stellen als Labortiere eine der am besten erforschten Tierarten dar. Dennoch unterscheidet sich die Ernährung im Freiland, im Labor und in der Heimtierhaltung, sodass ich eine genauere Auseinandersetzung mit der Fütterung lohnt.

Ratten sind omnivor

Grundsätzlich lässt sich über die Ernährung von Wanderratten im Freiland sagen, dass sie Allesfresser oder Gemischköstler (ominvor) sind. Laut Nowak (1991) nehmen sie eine große Bandbreite verschiedener Samen, Körner und anderer Pflanzenteile ebenso auf wie Wirbellose und kleine Wirbeltiere. Auch das Umweltbundesamt (2019) weist die Wanderratte als Allesfresser mit einer "Präferenz für pflanzliche Nahrung" aus. Die Nahrungsaufnahme geschieht zeitlich verteilt über alle Tagesabschnitte in kleinen Mahlzeiten (vgl. Wagner & Kluge 2016). Die Nahrung wird entweder während der Futtersuche an Ort und Stelle aufgenommen oder in den Bau getragen und von der Gruppe verzehrt (vgl. Resch & Resch 2020).

 

Insbesondere in Großstädten kann regelmäßig beobachtet werden, dass Ratten sich von menschlichen Abfällen und weiteren ungewöhnlichen Futterquellen ernähren. Auch die Fachliteratur liefert viele Beispiele von außergewöhnlichen Ernährungsgewohnheiten. Ratten sind sowohl in der Lage, sich ausschließlich von Eiern oder Muscheln zu ernähren, gehen an große Wirbeltiere wie etwa Hausgeflügel und sogar Lämmer oder Ferkel (vgl. ebd.) bis hin zu Aas (vgl. Umweltbundesamt 2019). Werden Ratten auf kleine isolierte Inseln eingeschleppt, stören sie das Ökosystem. Die sich schnell vermehrenden Nagetiere nehmen nicht nur den anderen Arten die pflanzliche Nahrungsgrundlage, sondern machen beispielsweise auch Jagd auf seltene Seevögel und deren Gelege (vgl. Moors & Atkinson 1984).

Insgesamt betrachtet gehören die beschriebenen ungewöhnlichen Ernährungsweisen jedoch zu den Sonderfällen. Becker (1978) verweist auf eine Ende der 1940er Jahren durchgeführte Untersuchung der Mägen von 4000 Wanderratten in Deutschland. In 39 % der Mägen wurden ausschließlich verschiedene Getreidesorten und in 34 % der Mägen ausschließlich Pflanzenteile wie Blätter, Gräser, Früchte oder Wurzeln  gefunden. In 11 % der Mägen fanden sich sowohl tierische als auch pflanzliche Komponenten, wahrend sich in 10 % der Mägen ausschließlich Fleisch oder Fisch befand. Hierbei ist zu bedenken, dass die untersuchten Ratten wahrscheinlich vor allem in menschlichen Siedlungen gefangen wurden, wo sie von menschlichen Vorräten lebten. Zum Untersuchungszeitpunkt kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs waren Fleisch und Fisch für die Bevölkerung ebenso wie die Ratten weniger verfügbar als das heute der Fall ist. Dennoch verweist Becker (1978) auf Fallenversuche, in denen kohlehydratreiche Köder (Haferflocken) von Wanderratten deutlich gegenüber Gemüse, Fleisch oder Fisch bevorzugt werden. Auch Schleif (2001) betont die Vorliebe für Weizen, Hafer und Reis gegenüber Fleisch, Fett und getrockneten Früchten.

Wahlversuche

Im Experiment unter kontrollierten Bedingungen zeigen Ratten Futterpräferenzen. Barnett & Spencer (1953) hielten mehrere gemischtgeschlechtliche Gruppen von wild gefangenen Wanderratten in großen Gehegen. In insgesamt 77 verschiedenen, mehrtägigen bis mehrwöchigen Wahlversuchen wurden die Futterpräferenzen der Tiere ermittelt. Die Rattenrudel hatten in 75 Versuchen jeweils die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Futtermitteln und in zwei Versuchen drei Alternativen zur Auswahl.

 

In den Tests waren zwar signifikante Präferenzen feststellbar, jedoch wurde kein Futtermittel zugunsten der beliebteren Alternative vollständig abgelehnt. Wanderratten bevorzugten Vollkorn (wholemeal) gegenüber geschälten Weizenkörnern (wheat grains) und Weizenkörner gegenüber Weißmehl. Wenn Vollkorn zur Verfügung stand, wurde Weißmehl beinahe vollständig ignoriert. (vgl. ebd.)

 

Weizenkeime wurden eher in kleinen Mengen aufgenommen, wenn Getreidekörner als Alternative zur Verfügung standen. Jedoch wurden sie gegenüber Zucker oder einer Zucker-Getreide-Mischung bevorzugt. 

Wenn dem Getreide Zucker oder Saccharin zugefügt wurde, stieg die Akzeptanz. Zucker war im Vergleich beliebter als Saccharin. Ebenso war die Beliebtheit von Vollkorn ebenso wie von geschältem Weizen erhöht, wenn jeweils Erdnussöl zugefügt wurde. Mit Lebertran versetztes Futter dagegen wurde eher gemieden. (vgl. ebd.)

Grundsätzliche Faktoren für die Präferenzen waren die Verträglichkeit (palatability) und Geschmack, teilweise jedoch auch Bekanntheit des Futtergeschmacks bei den Tieren und wahrscheinlich auch der Kaloriengehalt des Futters. Die aufgenommene Kalorienmenge war unabhängig vom angebotenen Futter stets die gleiche.

 

Barnett & Spencer (1953) erklären, dass die Futterpräferenzen wilder Wanderratten sich teilweise von denen weißer Farbratten im Labor unterscheiden. Farbratten zeigten beispielsweise keine Präferenz für mit Saccharin versetztes Futter, welches sich im Kalorienwert kaum dem ohne Saccharin unterscheidet.

Ebenso gibt es Präferenzunterschiede zwischen Wanderratten und Hausratten (Rattus rattus). Bei einem von Khan (1974) durchgeführten Experiment bevorzugten wild gefangene Hausratten Getreidemehle, Getreidekörner, geschälte Hülsenfrüchte und ganze Hülsenfrüchte in der genannten Reihenfolge. Feuchtes Futter (moist foods) war ebenso beliebt, wie Futter, das mit Erdnussöl oder Rohrzucker versetzt war. Mit Öl versetztes Futter wurde dem mit Zucker versetzten Futter vorgezogen. Textur, Geschmack und Nährwert der Lebensmittel beeinflussten die Wahlentscheidung von Hausratten stark. (vgl. ebd.)

Futterbedarf von Farbratten

Schleif (2001) beziffert den Energiebedarf von Laborratten im Wachstum Labor auf "täglich 940 kJ DE/kg LM0,75 und in der Haltungsphase auf täglich 460 kJ DE/kg". Er verweist darauf, dass trächtige und säugende Weibchen ebenfalls einen entsprechend höheren Energiebedarf haben (siehe hierzu auch Wagner & Kluge 2016). Ausgewachsene Tiere in der Haltungsphase benötigen 7 - 12 % Rohprotein und 2 % Rohfett, während für die Zuchtphase 20 - 24 % Rohprotein und 3 - 5 % Rohfett angegeben werden. Eine Ratte nimmt pro Tag 12 - 15 g pelletiertes Alleinfutter auf (vgl. Schleif 2001).
Im Gegensatz zu wilden Wanderratten nehmen Farbratten in der Laborhaltung nicht über den ganzen Tagesverlauf verteilt kleine Nahrungsportionen zu sich. Das hochwertige Pelletfutter ist stets verfügbar und wird größtenteils in der Dunkelphase aufgenommen (Wagner & Kluge 2016). Schleif (2001) erklärt, dass die mit Nahrungsaufnahme verbrachte Zeit von etwa 1 - 2 Stunden führt, dass die Tiere sich in ihren auch ansonsten reizarmen Lebensverhältnissen schneller langweilen. Verbunden mit dem Bewegungsmangel in der Käfighaltung führe dies zu Fettleibigkeit. Ebenso wird darauf hingewiesen, dass der in Futterpellets enthaltene Proteinanteil höher sei, als der Bedarf von Farbratten (siehe auch Tabelle nach Wagner & Kluge 2016). Ratten deren Ernährung zu 20 % aus Eiweiß besteht, wachsen zwar schneller, sterben jedoch auch früher als solche, deren Futter einen Eiweißanteil von 10 % aufweist. Letztere erhielten zudem nur 85 % der Menge, die sie zu sich nehmen würden und lebten durchschnittlich 6 Monate länger. Schleif (2001) fasst zusammen, dass Futter mit weniger Energie zu gesünderen und langlebigeren Tieren führt und Fettleibigkeit vor allem durch Reduktion der Futtermenge entgegengewirkt werden kann. Je schwerer das Futter zugänglich ist desto mehr Zeit und Energie wenden die Tiere für die Nahrungsbeschaffung auf. Die Tiere sind ausgeglichener, schlanker, körperlich gesünder als jene, die jederzeit ungehindert Zugang zu Futter haben. 
Nährstoffgehalt handelsüblicher Labor-Alleinfuttermittel für Ratten (nach Wagner & Kluge 2016)
Rohnährstoffe in % Haltungsfutter Zuchtfutter
Rohprotein 14,0 - 19,3 18,8 - 26,5
Rohfett 3,5 - 4,5 3,8 - 6,0
Rohfaser 4,3 - 6,1 3,0 - 4,7
Rohasche 6,0 - 6,9 5,7 - 7,1
Stickstofffreie Extraktstoffe (NfE) 52,9 - 61,2 47,5 - 54,6
Stärke 34,0 - 36,8 29,0 - 36,0
Zucker 2,0 - 4,9 2,0 - 5,4

Geeignetes Futter gemäß der Literatur

Basierend auf den herausgearbeiteten Befunden und der Durchsicht einschlägiger Ratgeberliteratur über Ratten als Heimtiere erklärt Schleif (2001), dass Farbratten in erster Linie mit Getreidekörnern (Hafer, Weizen, Hirse und Gerste) gefüttert werden sollten. Ebenso können in kleineren Anteilen Leinsaat, Buchweizen und Hanf sowie Dinkel, Mais, unpolierter Reis und Haferflocken hinzugegeben werden. Als Frischfutter werden vor allem Obst und Gemüse, aber auch Salat, frische Kräuter und belaubte Zweige empfohlen. Tierisches Protein soll gemäß der Literatur „alle zwei bis drei Tage“ in geringen Mengen angeboten werden.
Empfehlungen neueren Datums decken sich hiermit: Oechler (2008) empfiehlt, täglich sowohl eine hochwertige Fertigfuttermischung ohne Zucker und mit einem Proteinanteil unter 20 %, als auch Frischfutter zu geben. Auch die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz verweist auf handelsübliches Rattenfutter bestehend aus Getreidekörnern und Gemüseflocken, das täglich zusammen mit Obst, Gemüse und Katzengras und nach Bedarf tierischem Eiweiß gefüttert werden soll (vgl. TVT 2014).

mehr

Barnett, S. A. & Spencer, M. M. (1953): Experiments on the food preferences of wild rats (Rattus norvegicus Berkenhout). Epidemiology & Infection, 51 (1). S. 16 - 34.
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2217682/pdf/jhyg00159-0025.pdf

 

Becker, K. (1978): Rattus norvegicus (Berkenhout, 1769) – Wanderratte. In: Niethammer, J. & Krapp, F.: Handbuch der Säugetiere Europas. Band 1: Rodentia I. Akademische Verlagsgesellschaft, Wiesbaden.

 

Khan, J. A. (1974): Laboratory experiments on the food preferences of the black rat (Rattus rattus L.). Zoological Journal of the Linnean Society, 54(2). S. 167–184. https://doi.org/10.1111/j.1096-3642.1974.tb00797a.x

 

Moors, P. J.  & Atkinson, I.A.E. (1984): Predation on seabirds by introduced animals, and factors affecting its  severity. In:  P.J.  Moors (Hrsg.). Conservation of island birds, S. 667 - 690. International Council for Bird Preservation. Cambridge, UK.

 

National Research Council (1995): Nutrient Requirements of Laboratory Animals. Subcommittee on Laboratory Animal Nutrition, Washington (DC).

 

Nowak, R. M. (1991): Walker's Mammals of the World. Johns Hopkins University Press, Baltimore.

 

Oechler, S. (2008): Farbratten. Natur und Tier-Verlag, Münster.

 

Resch, C. & Resch, S. (2020): Wanderratte - Rattus norvegicus. In: kleinsaeuger.at - Internethandbuch über Kleinsäugerarten im mitteleuropäischen Raum: Körpermerkmale, Ökologie und Verbreitung. apodemus - Priv. Institut f. Wildtierbiologie, Haus im Ennstal.

Schleif, O. (2001): Ein Beitrag zur tiergerechten Haltung der Ratte anhand der Literatur. Inaugural-Dissertation. Tierärztliche Hochschule Hannover. https://elib.tiho-hannover.de/dissertations/schleifo_2001

 

Telle, H. J. (1971): Kontrolle und Bewertungsmöglichkeiten großräumiger Bekämpfungaktionen gegen Wanderratten. Zeitschrift für angewandte Zoologie, 58. S. 141 - 167.

 

TVT - Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz  (2014): Ratten. https://www.tierschutz-tvt.de/alle-merkblaetter-und-stellungnahmen/?no_cache=1&download=TVT-MB_160_Heimtiere_Ratten__Apr._2014__01.pdf&did=41

 

Umweltbundesamt (2019): Wanderratte. Ernährung / Wachstumsbedingungen. https://www.umweltbundesamt.de/wanderratte#ernahrung-wachstumsbedingungen

 

Wagner, H. & Kluge, R. (2016): Fachinformationen aus dem Ausschuss für Ernährung der Versuchstiere. Fütterungskonzepte und -methoden in der Versuchstierhaltung und im Tierversuch. Ratte. http://www.gv-solas.de/fileadmin/user_upload/pdf_publikation/Ernaerung/2016_10Ernaehrung_Ratte.pdf