Laufrad. Machen oder Lassen?

Laufräder und Laufteller werden seit einigen Jahren sowohl in der Kleintierhaltung als auch in der Forschung ambivalent bewertet. Dies hat zum einen damit zu tun, dass über viele Jahre verschiedene Forschungsarbeiten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt sind. Zum anderen hat sich auch in der Heimtierhaltung der Blick auf kleine Nagetiere verändert. Die früher als zweckmäßig empfundenen Metall-Laufräder für Goldhamster mit sehr geringem Durchmesser werden mittlerweile zurecht als tierschutzwidrige Gefahrenquelle angesehen. Ausgehend von der Erkenntnis, dass die meisten Laufräder schlecht sind, haben es tiergerechte Modelle schwer, sich gegen die weit verbreitete Ablehnung durchzusetzen. Ebenso hat sich in vielen Online-Communities über Kleinsäuger derzeit der Konsens eingestellt, dass Nagetiere kein Zubehör aus Kunststoff erhalten sollen (mehr dazu hier). Die meisten Laufräder, die sowohl den physiologischen als auch hygienischen Anforderungen an eine gesunde Tierhaltung gerecht werden (siehe unten), bestehen jedoch aus Kunststoff. Eins ist jedoch festzustellen: Wenn Tieren ein Laufrad zur Verfügung steht, wird es von ihnen auch genutzt. Goldhamster etwa laufen pro Nacht durchschnittlich 5000 Umdrehungen Zucker & Stephan (1973).

 

Gebhardt-Henrich et al. (2005) identifizieren in der akademischen Diskussion rund um Laufräder zwei Lager. Das eine umfasst Theorien, nach denen Laufen im Laufrad als eine Anpassung des Tieres an seine Umweltbedingungen ansieht. Die Gegenseite sieht Laufräder als grundsätzlich schädlich an.
Die Autor_innen verweisen sowohl auf positive Aspekte, wie etwa das Ausleben des Bewegungsdrangs trotz beengter Lebensverhältnisse, die Steigerung des körperlichen Wohlbefindens und die Aufrechterhaltung des Biorhythmus als auch negative Aspekte: Angeführt werden hier unter anderem die Arbeiten von Paré (1976) und Vincent & Paré (1976) zur Schädigungen der Gesundheit durch stressbedingte Magengeschwüre. Relativ weit verbreitet ist auch Betrachtung des Laufradlaufens als stereotypes Verhalten und/oder unnatürliches Verhalten.

100 Jahre Forschung

Störungsursache oder Heilmittel?

Sherwin (1998) betont, dass die Nutzung von Laufrädern bereits seit etwa 100 Jahren sowohl bei Wildtieren als auch domestizierten Arten untersucht wird. Die Ergebnisse der Untersuchungen sind jedoch sehr unterschiedlich, insbesondere was die Erklärungen für dieses Verhalten angeht. Theorien über Ursachen und Zweck des Laufradlaufens sind meist vereinfacht und können nicht verallgemeinert werden. Jedoch betont Sherwin, dass Tiere die Verhaltensweise schlicht um des Laufens im Laufrad willen zeigen und es sich wahrscheinlich nicht im eine Ersatzhandlung für ein anderes unterdrücktes Verhalten handelt. Laufradlaufen ist selbstbelohnend bzw. selbstverstärkend und ein Verhalten, dass für Tiere wichtig ist ("perceived by animals as 'important'", ebd.). Es gibt kein analoges natürliches Verhalten zum Laufradlaufen. Somit wird es als Produkt der Gefangenschaftshaltung oder mehr noch als Produkt des Laufrads selbst angesehen. Einige Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass Laufradlaufen mit Verhaltensstörungen in Verbindung gebracht werden könne. Nämlich entweder als Ausdruck einer Störung (und dem Versuch des Tieres, sich  Erleichterung zu verschaffen) oder als Ursache einer Störung durch die Nutzung. Ebenso werden weitere gesundheitliche Beeinträchtigungen und Tod durch Laufradlaufen angesprochen.

Laufradsucht?

Bleiben andere Verhaltensweisen auf der Strecke?

Gebhardt & Vonlanthen (2003) haben in einem zweijährigen Projekt zwei Gruppen weiblicher Goldhamster jeweils mit oder ohne Laufrad gehalten und beobachtet. Ebenso wurden Belastungsexperimente durchgeführt und ermittelt, wie sich die Faktoren arttypisches Verhalten, Gesundheitszustand und Fortpflanzungserfolg zwischen den beiden Gruppen unterscheiden. Aus Laboruntersuchungen lassen sich üblicherweise nur bedingt Ergebnisse für die Heimtierhaltung  ableiten, da diese allgemein meist andere Forschungsziele verfolgen. Jedoch hatte dieses Projekt wirklich das Ziel herauszufinden, ob ein Laufrad für die Goldhamsterhaltung empfehlenswert ist, oder nicht. Die Haltungsbedingungen waren dementsprechend der durchschnittlichen Heimtierhaltung sehr ähnlich: Die Käfige maßen 95 x 57 x 45 cm und waren mit Unterschlupf, Ästen, Röhren, Futternapf, Trinkflasche, Heu und Einstreu ausgestattet. Das Laufrad hatte einen Durchmesser von 30 cm.

In der Vorstellung ihrer ersten Ergebnisse verweisen die Autorinnen auf vorangegangene Literatur, die einen suchtähnlichen Gebrauch des Laufrads für möglich hält. Verhaltenssucht liegt dann vor, wenn andere arttypische Verhaltensweisen nicht mehr ausgeführt werden. Auch diese These wurde in der Untersuchung überprüft. Gebhardt & Vonlanthen konnten beweisen, dass Goldhamsterweibchen die ständig ein Laufrad zur Verfügung hatten, im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne Laufrad weniger Verhaltensanomalien (Gitternagen) und dafür mehr Komfortverhalten (z.B. Putzen) zeigten. Ebenso waren die Tiere aktiver. Insbesondere die jüngeren Tiere sind mehrere Kilometer (bis zu 18,6 km) pro Nacht gelaufen. Die Nutzung des Laufrads wurde fast komplett eingestellt, wenn Individuen einen Wurf zu säugen hatten. Daraus leiten die Forscherinnen ab, dass ein Laufrad keinen negativen Effekt auf die Reproduktion hat.
Das Ergebnis fällt also sehr klar aus: "Unter dem Vorbehalt, dass das Laufrad konstruktionsbedingt keine Gefahrenquelle darstellt und einen hinreichenden Durchmesser aufweist, kann ein Laufrad für die Heimtierhaltung von Goldhamstern tendenziell durchaus empfohlen werden." (ebd.)

Stereotypes Verhalten?

Was treibt Tiere an, im Rad zu laufen?

Eine neuere Untersuchung wurde aufgrund ihrer kuriosen Ergebnisse sogar in den Mainstream-Medien besprochen. Meijer & Robbers (2014) sind der Frage nachgegangen, ob das Laufen im Laufrad ein für das Leben in Gefangenschaft typisches Verhalten ist. Die Hypothese, dass wilde Mäuse ein Laufrad nicht nutzen würden, da hierfür kein äußerer Antrieb vorhanden ist, sollte überprüft werden. Hierfür wurden Laufräder in der Natur aufgestellt und beobachtet. In einer drei Jahre andauernden Beobachtungsphase konnten 12.000 Videofragmente ausgewertet werden. Die frei zugänglichen Laufräder wurden ganzjährig vor allem von Mäusearten genutzt (88%). Jedoch konnten auch häufig Nacktschnecken, Ratten, Spitzmäuse sowie selten Frösche und Schnecken in den Rädern beobachtet werden. Ein echtes Laufen im Laufrad konnte bei Gehäuseschnecken nicht nachgewiesen werden, dafür jedoch ganz sicher bei den Wirbeltieren. Einer Analyse bei verschieden alten Farbmäusen im Labor hat gezeigt, dass vor allem junge Mäuse in Laufrädern laufen. Auch bei der Untersuchung im Freiland lässt die gesteigerte Nutzung in der Hauptfortpflanzungszeit darauf schließen, dass Jungmäuse die Hauptnutzer sind. Die Laufdauer beträgt größtenteils unter 60 Sekunden, in einem Fall jedoch 18 Minuten.

Die Beobachtungen von Meijer & Robbers zeigen, dass Laufradlaufen kein stereotypes Verhalten ist: Stereotypes Verhalten entsteht nach sämtlichen Definitionen ausschließlich in Gefangenschaftshaltung. Die Wildtiere wählen das Laufen im Laufrad frei.  Ebenso ist die Nutzungsdauer von wilden Hausmäusen  vergleichbar mit der von jungen Labormäusen.

Es bleibt dennoch die Frage, weshalb Tiere im Laufrad laufen. Als Erklärung werden mehrere Faktoren benannt. Zum einen handelt es sich wahrscheinlich um ein triebbefriedigendes Verhalten (consummatory behaviour). Zum anderen kann ein Zusammenhang zwischen Laufradlaufen und Stoffwechsel bzw. Laudradlaufen und Nahrungssuche erkannt werden. Tiere, die hungrig sind oder sich gerade auf Nahrungssuche befinden und alternativ im Laufrad laufen, zeigen, dass dieses Verhalten auch ohne die Verbindung mit einer Futterbelohnung selbst als belohnend empfunden wird.(ebd.)

Worauf achten?

wie sieht ein tiergerechtes Laufrad aus

Ein Laufrad sollte grundsätzlich sicherstellen, dass Tiere schadensfrei darin laufen können und auch der gefahrlose Ein- und Ausstieg gewährleistet ist. Unabhängig von der Tierart sollte das Rad folgende Grundvoraussetzungen erfüllen:

  • Eine Seite sollte völlig geschlossen sein. Die andere Seite sollte möglichst offen sein. (Kein Schereneffekt)
  • Die Lauffläche sollte vollkommen geschlossen sein und Halt bieten.
  • Das Laufrad sollte einen festen Stand haben
  • Die Lagerung sollte zulassen, dass das Rad stoppt, sobald das Tier aufhört zu laufen.

Die richtige Größe eines Laufrads ergibt sich aus der Länge der Tiere, die es nutzen sollen. Aus Empfehlungen der meisten Hersteller und Ratgeber-Webseiten lässt sich folgender Grundsatz ableiten

Ø Laufrad = 2 * Kopf-Rumf-Länge des Tieres

Zu diesem Ergebnis kommt auch Wilde 2010 (Laufradgrößen berechnen).
Daraus ergeben sich für verschiedene Arten unterschiedliche Empfehlungen für die Größe (siehe Tabelle).

Tierart Kopf-Rumpf-Länge (KRL) Durchmesser Quelle

Zwerghamster

7 - 11 cm

20 - 25 cm diebrain.de
Goldhamster 12 - 18 cm 30 cm Gebhardt-Henrich et al.
Farbmaus 8 - 11 cm 25 - 30 cm das-maeuseasyl.de
Mongolische Rennmaus 8 - 12 cm 30 cm das-maeuseasyl.de
Degu 15 - 20 cm +30 cm degupedia.de
Chinchilla 20 - 26 cm +40 cm chinchilla-scientia.de
Eichhörnchen 20 - 24 cm 50 cm eichhörnchenfreunde.de
Weißbauchigel 15 - 25 cm +30cm dein-weissbauchigel.de
Sugar Glider 16 - 21cm  +30cm  
       

Abweichungen nach oben sind vor allem bei den Tierarten zu erkennen, deren Schwanz etwa körperlang ist. Damit Tiere den Schwanz beim Laufen nicht nach oben biegen müssen, kann ein Raddurchmesser gewählt werden, der der doppelten Gesamtlänge des Tieres entspricht. Oft lässt sich ein solches Rad dann aber von den vergleichsweise leichten Tieren nicht mehr komfortabel bewegen, sodass die Nutzung ausbleibt. Einen Vergleich verschiedener Laufradmodelle bietet www.diebrain.de
Eine Alternative insbesondere für langschwänzige Tiere bieten Laufteller (flying saucers). Diese, besonders in der Chinchillahaltung beliebten Trimmgeräte sind mittlerweile in verschiedenen Größen erhältlich.

mehr


Gebhardt-Henrich, S., E.  Vonlanthen & A. Steiger (2005): Brauchen Goldhamster ein Laufrad? KTBL-Bericht 36. Internationale Tagung Angewandte Ethologie. KTBL-Schrift 437, S. 85 - 91

 

Gebhardt, S. & E. Vonlanthen (2003): Stellt das Laufrad einen Schaden oder Nutzen bei der Heimtierhaltung des Syrischen Goldhamsters dar - Erste Ergebnisse.


Meijer, J. H. & Y. Robbers
(2014): Wheel running in the wild.

 

Paré, W. P. (1976): Activity-stress ulcer in the rat: frequency and chronicity. Physiology and
Behavior 16, S. 699–704.

 

Sherwin, C. M. (1998): Voluntary wheel running: a review and novel interpretation. Animal Behavior. Juli 1998; 56(1): S. 11-27.

Vincent, G. P. % W. P. Paré (1976): Activity-Stress Ulcer in the Rat, Hamster, Gerbil and Guinea
Pig. Physiology & Behavior 16, S. 557–560.

 

Zucker, I. & F. K.  Stephan (1973): Light-Dark rhythms in hamster eating, drinking and locomotor
behaviors. Physiology and Behavior 11, S. 239–250.

 

Agility, Clicker-Training und mehr für Kleinsäuger

 

 

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